Internationale Zusammenarbeit und gezielte Ausbildungsförderung - Die Energiewende ist eines der zentralen Themen unserer Zeit. Die Transformation hin zu einer nachhaltigen und klimafreundlichen Energieversorgung erfordert massive Investitionen in den Ausbau erneuerbarer Energien und die Modernisierung und den Ausbau der Energieinfrastruktur. Foto: ABZ Kerpen
Insbesondere der Leitungsbau spielt dabei eine entscheidende Rolle. Doch der Erfolg dieser ambitionierten Projekte steht vor einer ernsthaften Herausforderung: dem Fachkräftemangel in der Branche. Nach aktuellen Erhebungen des Hauptverband der Deutschen Bauindustrie e.V. (HDB) gab es 2023 etwa 15.000 offene Stellen in der Baubranche. Das Kompetenzzentrum Fachkräftesicherung (KOFA) konkretisiert dies noch einmal für den Rohrleitungsbau: eine Fachkräftelücke von über 1.000 Menschen. Ein Engpass, den es im Angesicht der kommenden Herausforderungen zu beheben gilt. Denn die Situation verschärft sich aktuell. Die Generation Babyboomer verabschiedet sich in den Ruhestand, gleichzeitig gibt es kaum junge Menschen, die eine Lehre zum Rohrleitungsbauer antreten. 2022 waren zwar 730 junge Menschen in der Ausbildung zum Rohrleitungsbauer, aber 144 Ausbildungsplätze blieben trotzdem unbesetzt.
Mehr Sichtbarkeit für den Leitungsbau
Wie also den Nachwuchs für den Leitungsbau begeistern? Branchenübergreifend hat der Rohrleitungsbauverband die Zukunftsinitiative #pipeline31 ins Leben gerufen und spricht über soziale Netzwerke wie TikTok, Instagram und YouTube mit einer Mischung aus Entertainment und Fakten direkt junge Menschen an. Schnell wachsende Reichweite und lebhaftes Community-Engagement sind Indikatoren dafür, dass der Plan, mehr Sichtbarkeit für den Leitungsbau zu schaffen, aufgeht. Doch dies kann nur ein Teil der Strategie sein, um dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken. Die persönliche Vorstellung des eigenen Unternehmens und auch des Ausbildungsberufes auf regionalen Ausbildungsmessen gehört bei vielen Unternehmen bereits zum Standard.
„Noch vor einigen Jahren haben wir auf diesem Wege einige qualifizierte Bewerbungen erhalten“, so Bettina Pierenkemper, Personalverantwortliche bei der Pierenkemper GmbH, „aber im letzten Jahr erreichte uns nicht eine einzige ernstzunehmende Bewerbung um einen Ausbildungsplatz aus dem deutschsprachigen Raum.“ Damit die Pierenkemper GmbH, die seit über 50 Jahren zuverlässiger Partner von Geschäfts- und Privatkunden rund um den innerstädtischen Leitungsbau von Versorgungsinfrastruktur inklusive einem 24/7 Störfallbeseitigungsangebot ist, weiterhin zuverlässig ihre Dienste anbieten kann, sind andere Wege der Auszubildendengewinnung gefragt.
Zuwanderung als Lösungsmöglichkeit
Eine Möglichkeit ist die gezielte Anwerbung von Zuwandernden aus EU- und Nicht-EU-Ländern. Hier hat die Firma Pierenkemper einen kompetenten Partner, das Berufsförderungswerk der Bauindustrie NRW e. V. Ausbildungszentrum Kerpen, gefunden. Stefan Roeder, Bereichsleiter Fortbildung, hat vor sechs Jahren ein Programm „Fachkräftegewinnung aus dem Nicht-EU-Land“ mitinitiiert, das es jungen Menschen ermöglicht in NRW eine Ausbildung im Bausektor zu absolvieren ähnlich, wie es schon im Pflegebereich der Fall ist. Jedoch mit einem entscheidenden Unterschied, wie Stefan Roeder betont: „Unser Partnerland ist Kamerun, hier herrscht eine Jugendarbeitslosigkeit von rund 80%. Indem wir junge Menschen direkt nach dem Abschluss der Schule anwerben, entnehmen wir dem dortigen Arbeitsmarkt keine qualifizierten, teuer ausgebildeten Fachkräfte wie es in der Pflege teilweise getan wird. Stattdessen geben wir den jungen Menschen die Chance auf eine hochwertige Ausbildung und eine echte Zukunftsperspekti-ve.“
Aktuell absolvieren 22 junge Männer aus Kamerun einen Teil ihrer Ausbildung in Kerpen. Im Sommer kommen weitere 15 dazu, die einen Ausbildungsvertrag bei einem der zahlreichen Bauunternehmen in der Region unterschrieben haben. Die Erfolgsquote bei den jungen Kamerunern ist außergewöhnlich hoch. Bis jetzt haben alle angeworbenen Auszubildenden ihre Ausbildung erfolgreich nach dem dritten Lehrjahr abgeschlossen. Ein junger Kameruner konnte seine Ausbildungszeit sogar verkürzen und hat als Jahrgangsbester in seiner Kammer die Ausbildung beendet, wie Stefan Roeder stolz berichtete.
Voraussetzungen für ein erfolgreiches Miteinander
Gerade diese positiven Erfahrungen aus den vergangenen Jahren hat auch Bettina Pierenkemper motiviert an dem Programm als Ausbildungsbetrieb teilzunehmen. Die Belegschaft ist jetzt schon bunt und divers, sodass sie einer vollständigen Integration der jungen Auszubildenen optimistisch entgegenblickt. Hinzu kommt: Die jungen Kameruner haben alle Abitur, sprechen Deutsch bereits bei der Ankunft auf B1- oder sogar schon C1-Niveau und was vor allem wichtig ist – sie sind hochmotiviert sich hier ein neues Leben aufzubauen. Beste Vorausset-zungen also. Aber auch die Unternehmen bereiten sich auf die jungen Auszubildenen vor, die ohne familiäre Unterstützung hier ihren Weg gehen wollen. Dazu gehört zum Beispiel das Vermitteln oder das Stellen eines geeigneten Wohnraums. Gerade in Ballungszentren wie der Großraum Köln, wo das Unternehmen Pierenkemper ihren Sitz hat, hätten ansonsten die Kameruner schlechte Karten. Aber auch bei Behördengängen, der Beratung zu Versicherungen, dem Eröffnen eines Kontos und anderen alltäglichen Dingen ist die tatkräftige Unterstützung seitens des Ausbildungsbetriebes und des Berufsförderungswerkes gefragt.
Ressourcen nutzen
Eine Erfahrung die auch Kai von Lengerke, Referentin NETZWERK Unternehmen integrieren Flüchtlinge, teilt. Auf der dies jährigen Tagung Leitungsbau des Rohr-leitungsbauverbandes e. V. referierte sie über die erfolgreiche Personalauswahl von Menschen mit Flucht- und Zuwanderungserfahrung und wie KMUs geeignete Bewerber finden können. Sie verwies hierbei auf das große Potential von Menschen, die bereits im Land sind und hier den Status von anerkannten Geflüchteten oder Asylsuchende haben. Eine der erfolgsversprechenden Verfahren ist dabei auf die örtlichen ehrenamtlichen Kräfte in der Flüchtlingshilfe zu setzten. Diese kennen die Geflüchteten gut und können anhand der Jobbeschreibung häufig am schnellsten und besten den passenden Kandidaten finden.
Planungssicherheit für Unternehmen und ausländische Mitarbeitende
Und trotzdem bleibt natürlich bei vielen Unternehmen die Unsicherheit, ob sich der doch höhere zeitliche und monetäre Aufwand lohnt und die Ausgebildeten nach den drei Jahren auch beim Unternehmen bleiben oder aber ob schlimmstenfalls Geflüchtete während der Ausbildungszeit in ihr Heimatland zurückkehren müssen. Hier hat der Gesetzgeber einen gesetzlichen Rahmen geschaffen, um genau diese Unsicherheiten zu entkräften. Mit dem 3+2-Modell im Integrationsgesetz gibt es die Möglichkeit, dass Geflüchtete für die Gesamtdauer der Ausbildung eine Duldung erhalten und im Anschluss eine Aufenthaltserlaubnis für zwei darauffolgende Berufsjahre ausgesprochen wird.
Und Zuwandernde, wie die jungen Auszubildenen aus Kamerun, können nach erfolgreicher Beendigung ihrer Ausbildung eine Niederlassungserlaubnis beantragen. Dieser Status erlaubt es, dauerhaft in Deutschland zu leben und zu arbeiten. Neben all den rechtlichen Voraussetzungen gibt es aber auch die persönlichen, die stimmen müssen, damit ein ehemaliger Auszubildener im Lehrbetrieb bleibt. Und hier verweist Stefan Roeder auf die Zukunftsperspektiven, die den Menschen aufgezeigt werden sollten. Wer konkrete Karriereziele auch ohne Studium bieten kann und ein wertschätzendes Arbeitsklima hat, der kann relativ leicht eine langfristige Bindung zu motivierten und gut ausgebildeten Fachkräften aufbauen und so einerseits das eigene Unternehmen stärken, andererseits aber auch den Weg für eine erfolgreiche und nachhaltige Energiewende ebnen. (Foto: ABZ Kerpen)