Sehr geehrter Damen und Herren, liebe Freundinnen und Freunde,
vor einem Jahr hatte ich die Ehre, erstmalig an dieser Stelle das Wort an Sie richten zu dürfen. Ganz im Zeichen des gerade ausgebrochenen Krieges in der Ukraine und dem damit verbundenen Entsetzen waren die Gedanken geprägt von der Frage, wie die kurzfristige Zukunft der Sicherstellung der Gas- und Energieversorgung gelingen kann und was das alles für den Leitungsbau bedeutet.
Energiekrise
Der Krieg dauert immer noch an. Russland hat es nicht geschafft, die Ukraine zu besiegen. Insbesondere aufgrund der fast übermenschlichen Kräfte und des unendlichen Ideenreichtums der Bevölkerung, sich gegen den drohenden Verlust der mühsam aufgebauten Demokratie zur Wehr zu setzen und auch dank der Unterstützung durch den Westen.
Energie ist knapp und teuer, die Inflationsrate wuchs stärker als je zuvor. Beide Fakten haben auch zum Umdenken in der Geldpolitik und damit auch in der Realwirtschaft insgesamt gesorgt.
Doch sind Rezessionen ausgeblieben, Wachstums- und Inflationsraten stabilisieren sich, die Energieliefersituation ist stabiler geblieben als von vielen befürchtet. Hier hat sich gezeigt, dass die in den vergangenen Jahrzehnten aufgebaute Marktintegration in der EU Wirkung entfaltet. Sowohl Flüssiggas, angeliefert in Belgien, als auch norwegische Gaslieferungen können das bisher benötigte russische Gas substituieren.
Kurzentschlossen hat die Bundesregierung die weitere Diversifizierung der Lieferquellen durch insgesamt fünf LNG Terminals vorangetrieben, von denen eines bereits in Wilhelmshafen in Betrieb genommen wurde.
Trotzdem ist die Versorgungsfrage unseres Landes mit Blick auf den kommenden Winter weiterhin anspruchsvoll. Allerdings wurde Anfang Februar 2023 ein Speicherfüllstand von 80% ausgewiesen, anstelle von 40%. Seit Mitte März hat sich die Lage auf einen Wert von rd. 64% stabilisiert.
Gastransformation
So tatkräftig und pragmatisch die Regierung Flüssiggasterminals gebaut und Kohlekraftwerke hochgefahren hat, so sehr soll jetzt ein Zeichen für den Klimaschutz im Gebäudeenergiegesetz gesetzt werden.
Und es stellt sich die Frage, warum diese energiepolitischen Aspekte für uns als rbv überhaupt von Bedeutung sein sollen. Wir sind im Vorstand gerade dabei, uns einen entsprechenden energiepolitischen Kompass zu entwerfen.
Für heute würde ich es aber auf einen ganz einfachen Nenner bringen wollen: Spätestens seit im Mai 2022 Stimmen in der Regierung laut wurden, nun sei die Zeit für den Rückbau der Gasnetze gekommen, hat auch der Letzte begriffen, dass es hier nicht nur um eine grundlegende energiepolitische Frage geht.
Hinter dem Aufruf zum Rückbau steht die in bestimmten Teilen der Politik verbreitete Annahme, dass die unbestrittene notwendige Wende hin zu einer klimaneutralen Energielandschaft allein über den einseitigen Ausbau der Stromnetze basierend auf regenerativer Erzeugungsstruktur erfolgen könne. Hier wird völlig außer Acht gelassen, dass aus verschiedenen Gründen die angestrebten Ausbaupläne schon für die Stromtrassen, aber auch die nachgelagerten Netze, hinter den politischen Vorgaben hinterherhinken.
Ganz im Gegenteil, die Bundesnetzagentur entwirft derzeit ein Konzept, um die Stromversorgung von Wallboxen und Wärmepumpen zeitweise zu drosseln! Hier werden die Schwierigkeiten offensichtlich, die eine Infrastruktur zur Digitalisierung, Wohnungsneubauten und Mobilität – besonders in den Ballungsräumen – hat, die zu sehr auf den Stromsektor ausgerichtet ist.
Das gilt auch für die Annahme einer regenerativen Erzeugung von Strom durch Wind- und Solarenergie und den damit verbundenen Problemen von zeitlichem Ausgleich und Dunkelflauten. Insoweit erscheint es abenteuerlich, das Wärmesystem, welches mit einer Spitzenlast von 250 GW, betrieben mit Erdgas, ersetzen zu wollen durch ein Stromsystem mit einer Spitzenlast von 80 GW. Dies wird dem Industriestandort Deutschland nicht gerecht.
Es ist daher zwingend notwendig, das Gasnetz in ein Wasserstoffnetz zu transformieren. Zum einen, um hiermit ein zuverlässiges und gleichzeitig umsetzbares Rückgrat für die Energiewende zu schaffen, denn mit dem Leitungssystem von mehr als 550.000 km insgesamt beliefern wir derzeit 50 % aller Haushalte mit Wärme und mehr als 1,8 Mio. Industrie- und Gewerbekunden mit Energie. Zum anderen sprechen wir hier über ein volkswirtschaftliches Vermögen von rd. 300 Mrd. €. Wirtschaftliche Überlegungen bezüglich des Fortbestandes dieses Leitungssystems sollen gerade vor der herausfordernden Transformation in Richtung einer klimaneutralen nationalen und europäischen Energie-, Wirtschafts- und Mobilitätsstruktur eine nicht unerhebliche Rolle spielen.
Hierzu gibt es eine Vielzahl von Untersuchungen und Studien, die in diese Richtung weisen. Konkrete Umstellungspläne für die Transportebene und 50 % der Verteilnetzebene existieren bereits. Und es gibt mehrere Projekte auf der Transportstufe im Nordwesten, Nordosten und Westen der Republik, die sich kurz vor dem Übergang von der Planungs- zur Realisierungsphase befinden. Treiber sind in der Regel die energieintensiven Industrien Stahl, Chemie und Zement. Die betroffenen Netzgesellschaften gehen hier ein eigenes unternehmerisches Risiko ein, da die Frage der Rahmensetzung insbesondere der Netzregulierung weder auf EU noch auf nationaler Ebene geklärt ist. Hier ist bereits wertvolle Zeit verloren gegangen.
Auch für die Verteilnetzstufe gibt es mit dem Gasnetzgebietstransformationsplan eine klare Perspektive, wie eine zeitnahe Transformation für den überwiegenden Teil der Netze erfolgen kann, natürlich ebenfalls unter der Voraussetzung entsprechender Rahmensetzungen. Es ist daher sehr zu begrüßen, dass in dem aktuellen GEG-Entwurf erstmals Wasserstoff auf Ebene der Verteilnetze vorkommt und der Einbau von wasserstofffähigen Gasheizungen oder Kombigeräten möglich ist, wenn der Gasnetzbetreiber einen konkreten Plan zur Umstellung auf Wasserstoff vorlegen kann. Allerdings unter der Maßgabe einer sehr kurzen Frist bis 2035. Vor dem Hintergrund der Klimaneutralität bis 2045 bleibt daher Vorsicht geboten, ob es sich um verbale Feigenblätter oder eine ernsthafte Versachlichung handelt.
Der häufige Einwand, woher künftig grüner Wasserstoff bezogen werden kann, ist eine Frage der Perspektive: Zum einen wird es sicherlich eine Übergangszeit geben, in der auch anderer als grüner Wasserstoff zum Einsatz kommen wird. Neuerdings wird daher auch blauer Wasserstoff aus Norwegen seitens der Regierung berücksichtigt, bei dem freigesetztes CO2 eingelagert wird. – Zum anderen wird Deutschland auch in Zukunft ein besonderes Augenmerk auf den Energieimport richten, sodass auch internationale Quellen wie Australien, Chile, Namibia, aber auch Norwegen mit entsprechenden Lieferwegen für grünen und blauen Wasserstoff aufzubauen sind.
Gleichzeitig wird es aus heutiger Sicht – und auch das ist aus der Politik zunehmend zu hören – ebenso notwendig sein, die gerade abgeschalteten Grundlastkapazitäten der Kernenergie nicht dauerhaft durch emissionsintensive Kohlekraftwerke zu ersetzen – ich spare mir den energiepolitischen Diskurs an dieser Stelle – sondern hier in wasserstofffähige Gaskraftwerke zu investieren. Hier wird davon ausgegangen, dass bis 2030 Kapazitäten von 20-25 GW notwendig sind.
Kommunale Wärmeplanung
Es wird aber keine vollständige Transformation der Gasnetze geben. Vielmehr ist zu erwarten, dass nach dem Vorbild der kommunalen Wärmeplanung in Baden-Württemberg und Schleswig-Holstein (dort durch Wirtschaftsminister Habeck initiiert) vergleichbare Regelungen bundesweit die Kommunen dazu anhalten, aufbauend auf den lokalen und regionalen Rahmenbedingungen vor Ort, energiewirtschaftliche Zukunftskonzepte zu erstellen und umzusetzen. Praxisbeispiele für Quartierslösungen, in denen Netzbetreiber zunehmend die unterschiedlichsten Contracting-Konzepte umsetzen, werden regelmäßig veröffentlicht, aber auch Industriegebiete, in denen direkte Konkurrenten zusammenrücken und energiewirtschaftlich optimierte Gemeinschaftskonzepte angehen wie aktuell in Bremerhaven. Gemein ist diesen Konzepten, dass hier Fern- und Nahwärmelösungen konzipiert werden, mit den entsprechenden Aufgaben für den Leitungsbau.
Stromtrassen
Als wesentliches Element der Energiewende gelten die Kabelferntrassen von Nord nach Süd, um den im Norden erzeugten oder angelandeten regenerativen Strom auch in den Süden transportiert zu bekommen. Wie nicht anders zu erwarten, gibt es hier verschiedene Verzögerungen. Interessant ist aber, dass drei der vier Übertragungsnetzbetreiber, die sich ganz oder überwiegend in staatlicher Hand befinden, neue (öffentliche) Gesellschafter gesucht haben oder noch dabei sind - so Tennet, Transnet BW und 50 Hertz. Lediglich die rein privat finanzierte Amprion sieht sich in der Lage, auch künftig ohne Staatsbeteiligung auszukommen, was auch an deren Netzstruktur liegen mag. Es zeigt aber auch, welch große Transformation hier vor uns liegt: So hat Amprion bislang 115 km Übertragungsnetze gebaut und für weitere 200 km liegen Genehmigungen vor.
Über den Glasfaserausbau haben wir da noch gar nicht gesprochen, aber bei aller Wichtigkeit für die Digitalisierung kann festgestellt werden, dass das extrem auf kurzfristige Termineinhaltung ausgerichtete Vergabeverhalten für den Billigsten zulasten jeglicher Grundregeln im Tiefbau geht. Dies ist ein so leidiges Thema geworden, dass man es nur noch zur Kenntnis nehmen und warten kann, bis in der nächsten Runde mehr Vernunft bei der Behebung aller Schäden und Netzstabilisierungsmaßnahmen einkehrt. Solange beschränkt sich der rbv auf Regelwerke und Pflege der (verbands)politischen Landschaft.
Würdigung der Politik
Aus den bisherigen Ausführungen bekommt man einen Eindruck wie komplex und detailliert hier aktuell vorgegangen wird. Die Politik hat es trotz zunächst guter Ansätze verpasst, sich auf das Kerngeschäft, das Setzen von Rahmenbedingungen, zu fokussieren. Die seinerzeitige Einführung eines EU-Emissionshandelssystems für den Strom- und Industriesektor in 2003 ist der richtige Startschuss gewesen, der bislang nicht konsequent genug weiterverfolgt wurde. Unter den aktuellen politischen Vorzeichen in Deutschland wird nun vielmehr eine Transformation angestoßen, die kurzfristig und auf Verbote ausgelegt ist. Um das Wissen in einer Gesellschaft und Volkswirtschaft tatsächlich optimal zu nutzen, hat die Geschichte der sozialen Marktwirtschaft gezeigt, dass dezentrale Lösungen – in denen Innovationen erforscht, für unternehmerisch gut befunden und dann in die Praxis umgesetzt werden – die besten Lösungen hervorgebracht haben. Natürlich gibt es hierfür Rahmensetzungen und auch staatliche Flankierungen, aber das Suchen und Entdecken liegt bei den Marktteilnehmern, nicht in den Ministerien!
Das Gebot der Stunde ist daher, die Netzregulierung für die Transformation von Gasnetzen in Wasserstoffnetze klar zu definieren und auch die kommunale Wärmeplanung als dezentrales Instrument vor Ort einzuführen. Vielmehr sollten Akteure selbst geeignete Wege für die Zukunft finden, selbstverständlich immer unter Einhaltung der Klimaziele bis 2045. Erste Schritte für eine solche Änderung hat das Forschungsministerium unternommen, in dem das Prinzip der Technologieoffenheit gesetzlich für alle Ressorts verankert werden soll.
Folgende weitere Elemente für eine pragmatische Energiepolitik, die Sicherheit, Bezahlbarkeit und Umweltschutz in Einklang bringt, erscheinen sinnvoll:
- Regenerative Stromproduktion ausbauen
- Dezentrale regenerative Infrastruktur für den Wärmemarkt
- Entwicklung von Wasserstoff als Wärmeenergie sowie Speicher- und Produktionsrohstoff sowohl aus nationalen als auch internationalen Quellen
- Gasförderung in Deutschland
- Beschleunigte Planungsverfahren
Was bedeutet das nun für den Leitungsbau?
Wir stehen vor der historischen Aufgabe, die Energieversorgung dieses Landes zukunftsfest und damit klimaneutral zu gestalten. Diese Herausforderung betrifft sowohl unser Kerngeschäft als auch den unmittelbar und mittelbar damit verbundenen Leitungsbau. Gleichzeitig bestehen für die Umsetzung hohe Hürden, bevor wir überhaupt aktiv werden können, und zwar auf den Ebenen politischer Vorgaben, behördlicher Genehmigungen, planerischer Durchdringung der Gewerke und immer differenzierter werdenden Regelwerken und Normen für Technik, Qualität und Arbeitssicherheit.
Zugleich stehen wir neuen geopolitischen Herausforderungen, einer Zäsur auf den Finanzmärkten, dem großen Trend der Digitalisierung sowie einem rasanten demographischen Wandel gegenüber.
So aussichtsreich die Perspektiven sind, so sehr werden sie uns auch herausfordern, um ganz einfach unsere Baustellen zur Zufriedenheit unserer Kunden ausführen zu können. In besonderem Maße bedarf es dafür Zuverlässigkeit, Qualität und Innovationen.
Und das bedeutet auch eine enorme Erweiterung der Aufgaben für unseren Verband, die Mitgliedsunternehmen in diesem Spektrum zu begleiten. Aufgrund der erfolgreichen Arbeit in den zurückliegenden Jahren und Jahrzehnten ist unsere Expertise nicht nur bei den Mitgliedern, sondern vermehrt auch in technisch-wissenschaftlicher, aber auch politischer Hinsicht gefragt. Denn wir sind ein professioneller und objektiver Ansprechpartner für alle Fragen rund um Energienetze, sodass allein auf Ebene der kommunalen Wärmeplanung möglicherweise sehr viele praxisbezogene Erfahrungswerte und Wissen unserer Häuser einfließen kann und muss, um regional gute Antworten für die Zukunft zu finden. In diesen Zeiten sind wir auf gute verbändeübergreifende Kooperationen angewiesen. An erster Stelle nenne ich den DVGW und die Bauindustrie, aber auch figawa, GSTT, RSV und GLT. Hier gibt es verschiedene Ideen, in technisch-wissenschaftlicher, aber auch politischer Hinsicht enger zusammen zu rücken und die Schlagkraft für die Belange des Leitungsbaus in dieser Vielstimmigkeit weiter zu verbessern.
In diesem Sinne richten wir unseren festen Blick nach vorn und sind bereit, uns für unsere Energiezukunft einzusetzen und diese mehr denn je auch aktiv mitzugestalten!
Glück Auf!
Dresden, 21. April 2023