Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Freundinnen und Freunde,
es stehen bewegte Zeiten vor uns. Der Überfall Russlands auf die Ukraine hat uns in eine neue, längst überkommen geglaubte Welt zurückgeworfen, die uns alle in Atem hält; mit ungewissem Ausgang.
Erstmals seit dem zweiten Weltkrieg stehen Fragen der militärischen Auseinandersetzung in Europa wieder im Vordergrund, verbunden mit unendlichem Leid vor allem in der Zivilbevölkerung. Die in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft allseits geteilte Gewissheit des Wandels durch Handel muss in diesem Moment gegenüber Russland als gescheitert betrachtet werden. Dementsprechend allumfassend sind die internationalen Sanktionen ausgefallen, die der Westen in bisher nicht gekannter Einigkeit zeitnah und weitreichend gegenüber Russland verhängt hat. …
Deutschland trifft dieser Konflikt in besonderer Weise, da wir mit 71% eine hohe Importabhängigkeit im Energiesektor aufweisen, wobei Russland bislang in den Bereichen Kohle, Erdöl und Erdgas eine führende Lieferstellung hat und in letztgenanntem Bereich einen Anteil von zuletzt 55 % erreicht. … Verschärft wird diese Situation durch die Verengung der Energieträgerstruktur durch die Energiewende, die mittelfristig nur noch Erdgas als fossile Brückentechnologie vorgesehen hat.
Die Internationale Energieagentur hat im März in einem 10-Punkte-Plan adressiert, wie die EU ihre Abhängigkeit von russischem Gas ohne sofortigen Ausstieg reduzieren kann, der wie folgt zusammengefasst werden kann:
- möglichst kurzfristiger Wechsel der Bezugsquellen,
- effizientere Nutzung von Gas,
- forcierter Zubau klimaneutraler Stromerzeugung.
Insgesamt wird davon ausgegangen, dass 30-50 % der Gaseinfuhren zurückgeführt werden können, unter Beachtung der notwendigen Auffüllung der Speicher.
Allerdings erzwingt der fortschreitende Krieg weitergehende Reaktionen des Westens auf den Aggressor Russland. Hierzu zählen insbesondere Embargos im Energiebereich. … Während Embargos für Kohle und in diesen Tagen Öl bereits verabschiedet worden sind, muss meines Erachtens mit einer entsprechenden Regelung für Erdgas ebenfalls gerechnet werden. Der Notfallplan Gas ist bereits eingeleitet worden, derzeit wird versucht, einen gangbaren Weg für den Umgang mit einem verknappten Gasangebot insbesondere in der Industrie – und vielleicht auch darüber hinaus – zu finden.
Was bedeutet das für den Leitungsbau?
Als direkten Effekt des Krieges können wir einen drastischen Rückgang des Gashausanschlussgeschäftes verzeichnen. Gleichzeitig werden intensive Bemühungen unternommen, mögliche Leckagen im Netz zu beseitigen. Aufgrund der Netzregulierung scheinen Erneuerungs- und Ausbauprojekte derzeit (noch) nicht berührt zu werden. Im Zuge eines möglichen Embargos sind vielleicht schon heute einige von uns als Dienstleister gefordert, kreative Lösungen für die Verbrauchsoptimierung oder den kurzfristigen Ersatz von Energieträgern in die Praxis umzusetzen.
Kurzfristig am bedeutendsten könnte der zusätzliche Leitungs- und Anlagenbau für LNG-Terminals und deren Integration in bestehende Netze sein, die später auch für den Import von Wasserstoff genutzt werden können. Hier stehen vier Anlandepunkte in Rede, die sich in unterschiedlich fortgeschrittenen Stadien befinden.
Unabhängig hiervon steht die Jahrhundertaufgabe der Energiewende vor uns, mit dem wesentlichen Ziel, die Energieversorgung auf erneuerbare Energien umzustellen und die Klimaerwärmung zu begrenzen. Hieran werden wir von nachfolgenden Generationen gemessen. Die Realisierung der großen Kabeltrassen hat begonnen und wird in den kommenden Jahren intensiviert, wie in den letzten Tagen eindrucksvoll von den Netzbetreibern ausführlich dargestellt worden ist. Lokale Nah- und Fernwärmeprojekte erleben eine Renaissance, der Auf- und Ausbau des Wasserstoffnetzes wird ebenfalls umgesetzt und in den nächsten Jahren intensiviert.
Darüber hinaus bewirkt der Glasfaserausbau weiterhin einen deutlichen Nachfrageschub, bei unterschiedlichen Gewichtungen von Qualitätsanforderungen, also mithin nicht grundsätzlich uninteressant für heimische Unternehmen. Und schließlich der erhebliche Nachholbedarf im Bereich der Trinkwasserversorgung, so dass die geplante Stagnation bzw. der Rückbau von Erdgas als Energieträger etwas in den Hintergrund treten könnte.
Was bedeutet das für den rbv?
Aus meiner Sicht die konsequente Fortführung des seit 2002 eingeschlagenen Weges, eines gleichermaßen professionellen wie auch sichtbaren und vernetzten Verbandes, was Dieter Hesselmann so erfolgreich seit 2010 zusammen mit dem Team in der Marienburger Straße umsetzt. Ich möchte an dieser Stelle betonen, wie dankbar ich für dieses phantastische Fundament bin und freue mich sehr auf die Zusammenarbeit mit dem ganzen Team in der Marienburger Straße.
Dieser Verband ist ein Unternehmerverband, der selbst wie ein Unternehmen geführt wird. Wir stellen fest, dass neben den genannten fachtechnisch ausgerichteten Themen der Schulterschluss mit den uns verbundenen Verbände eine immer bedeutsamere Rolle spielen wird. Des Weiteren haben auch die beiden Megatrends Digitalisierung und demographischer Wandel eine erhebliche strategische Bedeutung. Schließlich sind wir ehrenamtlich tätigen Präsidiumsmitglieder auch weiterhin operativ eingebunden in unseren Unternehmen – das trifft besonders auf mich zu -, so dass wir hier auch untereinander einen engen Schulterschluss suchen werden, sicherlich aber auch die eine oder andere Aufgabe, die bislang beim Ehrenamt angesiedelt gewesen ist, auf Dieter Hesselmann übertragen werden. Daher werden wir hier weitere personelle Verstärkung auf Ebene des Hauptamtes suchen, auch vor dem Hintergrund des anstehenden Generationswechsels in den kommenden Jahren auch im rbv.
Soweit vielleicht eine erste Bestandsaufnahme. Ich darf mich nochmal bei allen für das entgegengebrachte Vertrauen für meine Präsidiumskollegen und mich selbst bedanken und versichere schon heute, dass wir uns mit Engagement und Begeisterung für die Sache unseres Verbandes engagiert einsetzen werden.
Glück Auf!
Düsseldorf, 6. Mai 2022